Energiekrise: Linde erfüllt vorerst Verträge in Russland

2023-01-13 10:56:53 By : Mr. Bo M

Der Gasekonzern hatte in den vergangenen Jahren mehrere Milliarden-Aufträge von Gazprom erhalten.

Der Gasekonzern hatte in den vergangenen Jahren mehrere Milliarden-Aufträge von Gazprom erhalten.

München Als Sanjiv Lamba vor einigen Tagen erstmals als Vorstandschef von Linde bei einer Townhall-Veranstaltung vor die Mitarbeiter tritt, ist der Ukrainekrieg das dominierende Thema. Natürlich werde man sich an alle Sanktionen halten, egal, wie groß ein Auftrag und wer der Kunde sei, sagte der Manager laut Teilnehmern.

In Russland hat der Gasekonzern insbesondere einen großen Kunden: Gazprom. Noch im vergangenen Herbst erhielt Linde von dem russischen Energiekonzern zwei Großaufträge in Höhe von sechs Milliarden Dollar. „Wir sind sehr glücklich mit diesen Projekten“, sagte Lamba Ende 2021 bei Vorlage der Neunmonatszahlen vor Analysten, damals noch als Chief Operating Officer. Mit Gazprom habe man „exzellente Beziehungen“. Für den CEO, der erst seit 1. März diesen Posten bekleidet, ist es eine erste große Bewährungsprobe.

Der Ukrainekrieg hat alles verändert. Immer mehr Unternehmen ziehen sich aus Russland zurück, auch unabhängig von Sanktionen. BMW zum Beispiel stoppte die Produktion in und den Export nach Russland, Siemens stellte das Neugeschäft ein.

Linde hält vorerst an den Milliardenaufträgen fest – es gibt weitere aus der Vergangenheit, die noch nicht ganz abgearbeitet sind. Man beobachte die Entwicklung in der Ukraine genau, erklärte der Konzern.

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Man ergreife Maßnahmen, um die Sicherheit der Mitarbeiter zu garantieren und die Versorgung mit medizinischem Sauerstoff aufrechtzuerhalten. Man bewerte den sich rasch verändernden Sanktionsrahmen, um ihn im Zusammenhang mit den bestehenden Verträgen voll zu erfüllen.

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In Industriekreisen hieß es, es sei zum Beispiel für Konsumgüterhersteller einfacher, keine Produkte mehr wie Sportartikel oder Handys in Russland zu verkaufen. Anders sehe das bei langlaufenden Verträgen aus. Die Politik müsse entscheiden, welche Geschäfte in Zukunft noch erwünscht seien und welche nicht. Andernfalls könnten Schadensersatzforderungen drohen.

So stellt Siemens zwar das  Neugeschäft in Russland ein, langlaufende Service-Verträge, zum Beispiel für Züge, werden aber weiter erfüllt. Zumindest, soweit dies im Rahmen der Sanktionen möglich ist.

Linde hatte den Auftrag für eine Gasverarbeitungsanlage und eine LNG-Flüssiggasanlage in einem großen Industriekomplex bei Ust-Luga erhalten. Zudem ist der Konzern aufgrund früherer Aufträge an einer Anlage im Rahmen des Pipelineprojekts „Power of Siberia“ mit mehreren Aufträgen beteiligt; die Pipeline soll Erdgasfelder in Ostsibirien mit Nordostchina verbinden. Die Anlage sollte in fünf Bauphasen bis 2024 errichtet werden.

Ob all diese Projekte zu Ende geführt werden, ist offen. An anderer Stelle könnte Linde von den geopolitischen Verwerfungen profitieren. Um die Abhängigkeit von russischem Gas zu verringern, will Europa künftig unter anderem verstärkt auf Flüssiggas setzen. So ist ein neues LNG-Terminal in Brunsbüttel geplant. Eine belgische Investorengruppe wiederum plant ein Terminal in Wilhelmshaven. Der LNG-Spezialist und Anlagenbauer Linde könnte damit womöglich einen Teil der potenziellen Ausfälle in Russland kompensieren.

Im Rest der Welt laufen die Geschäfte weiter gut. Im vergangenen Jahr stiegen die Umsätze um 13 Prozent auf 30,8 Milliarden Dollar. Der operative Gewinn verbesserte sich sogar um 50 Prozent auf fünf Milliarden Dollar. „Die besten Zeiten stehen Linde noch bevor“, sagte Ex-CEO Steve Angel, der am 1. März an die Spitze des Verwaltungsrats wechselte.

Er löste dort Wolfgang Reitzle ab, der als Vorstandsvorsitzender von 2003 bis 2014 den Dax-Konzern geleitet hatte. Nach der obligatorischen Abkühlpause kehrte er 2016 als Aufsichtsratschef zurück und trieb gegen alle Widerstände die Fusion mit Praxair voran.

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Für Linde bedeutete die Personalrochade einen Zeitenwechsel. Bislang sind die Übergänge laut Insidern glatt gelaufen. Neu-Vorstandschef Lamba trat in Pullach in einem hybriden Format vor die Beschäftigten, etwa 4000 Mitarbeiter waren digital zugeschaltet. Als COO hatte er sich bereits ein Jahr lang als Verantwortlicher für das operative Geschäft warmlaufen können.

An der Strategie der Aktienrückkäufe wird Linde unter Lambas Führung festhalten. Vor einigen Wochen verkündete der Konzern ein neues Programm. Bis spätestens Juli 2024 sollen Linde-Aktien für bis zu zehn Milliarden Dollar zurückgekauft werden. Für den vorherigen Rückkauf von Aktien für fünf Milliarden Dollar, der vor Kurzem abgeschlossen wurde, hatte Linde gut ein Jahr gebraucht.

Dem Kurs haben die kontinuierlichen Zuwächse beim Gewinn und die Aktienrückkäufe in den vergangenen Jahren gutgetan. Linde ist derzeit vor SAP der wertvollste Dax-Konzern. Im Zuge der Ukrainekrise ist der Kurs von seinem Höchststand über 300 Euro auf zuletzt etwa 250 Euro gesunken.

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