„Es ist doch alles da“: Wie Deutschlands Biogas-Bauern Energiekrise lösen wollen - FOCUS online

2023-01-13 10:57:19 By : Ms. Binger Binger

Biogas-Bauern fordern neue Sicherheit für Produktion von Ökostrom

Biogasanlagen vor dem Aus: Sondervergütung für Ökostrom reicht nicht mehr zu Kostendeckung

9500 deutsche Bauern erzeugen so viel Biogas wie 80 Prozent der russischen Gasimporte

Mais, Gülle und Gras als perfekte Rohstoffe für klimaneutrales Biogas

365 Tage im Jahr produzierbar: Biogas gleicht Produktionslücken wind- und sonnenarmer Tage aus

Pötke: "EEG ist für uns wie ein Kind von den Grünen, dass sie nun verhungern lassen"

Tennisverein droht wegen Gaspreisexplosion Ausfall der Wintersaison

Weniger duschen, um Wärmekosten zu sparen. Womöglich frieren im eigenen Haus? Steigende Gaspreise werden Deutschland in Herbst und Winter vor eine harte Probe stellen. Nun sagen Landwirte: „Wir können die Krise lösen“. Eine kleine Umrüstung reiche und Deutschlands Biogasbauern könnten 80 Prozent von Putins Gas ersetzen. Doch es gibt viele unverständliche Hindernisse.

Es ist schon ziemlich pervers, findet André Rosin, sich an einem Hochsommertag mit Temperaturen von fast 40 Grad Celsius den Kopf übers Heizen im Winter zerbrechen zu müssen.

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Rosin steht vor der weißen Fassade seiner Reihenhaushälfte im niedersächsischen Dorf Wettmar, den linken Arm über die Schulter von Sohn Florian (10) gelegt. Doch die Auswirkungen von Putins Überfallkrieg auf die Ukraine, ergänzt der 40-Jährige, ließen ihm keine andere Wahl. „Wir haben gerade die Aufforderung zur Vorausszahlung von unserem Gasversorger bekommen. Sie ist mehr als doppelt so hoch wie im vorigen Jahr. Eigentlich wollten mein Sohn, meine Frau und ich in den Sommerferien wie letztes Jahr zwei Wochen an die Ostsee. Das mussten wir streichen. Denn wir wissen nicht, ob wir sonst finanziell über den Winter kommen“, sagt Rosin sichtlich betreten.

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Um Biogas zu gewinnen, bringt der Landwirt mit Bakterienkulturen ein Gemisch aus 45 Prozent geschredderten Maispflanzen, 35 Prozent Gülle und 20 Prozent Gas zum Gären. Anschließend wird das so gewonnene Gas verbrannt und der mit einem Generator daraus erzeugte Strom ins Stromnetz eingespeist. Der Energiewert für 80 Haushalte in Wettmar entspräche pro Jahr rund 160.000 Litern Heizöl, klimaneutral erzeugt. Hinzu kommt dann noch die Abwärme, die genutzt werden könnte, ergänzt der 42-jährige Landwirt.

Und dennoch kann Pötke, trotz der wegen Putins Ukrainekrieg entstandenen Gasknappheit, den Wettmarern derzeit kein Biogas anbieten.

Die Laufzeit des EEG und damit eine garantierte Sondervergütung von rund 20 bis 22 Cent pro Kilowattstunde für Ökostrom aus Biogasanlagen wurde 2004 von der damaligen rotgrünen Regierung unter Kanzler Gerhard Schröder (SPD) auf 20 Jahre festgelegt. Mit der EEG-Novelle 2017 begann unter der damaligen Kanzlerschaft von Angela Merkel (CDU) dann jedoch der freie Fall der Sondervergütung.

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Zwar ist die Förderung nicht komplett ausgelaufen, es gibt Folgeprogramme. Doch die Förderung liegt inzwischen so tief, dass Biogas-Betriebe nach dem Ende der vollen EEG-Förderung nicht nicht einmal mehr die Kosten decken können und schließen müssen. „Ich will investieren“, sagt Pötke, „aber keine Bank gibt mir einen Kredit, weil alle wissen, dass sich das nicht rechnet“.

Trotz des immensen Handlungsdrucks, unter dem die Bundesregierung von Kanzler Olaf Scholz (SPD) steht. „Nach der letzten Bundestagswahl dachte ich, jetzt würde sich alles ändern. Eine Goldgräberstimmung für die Biogasproduktion würde anbrechen. Doch genau das Gegenteil ist der Fall. Die Politik lässt uns allein, gibt uns keine Sicherheiten. Und dies, obgleich wir einen gigantischen Teil jenes Gases, das Deutschland aus Russland importiert, ohne Probleme selbst erzeugen könnten. Weil alles Wichtige, was wir für die Produktion von Biogas benötigen, bereits da ist, existiert, funktioniert.“

Die derzeit mögliche Produktionsmenge von Biogas, die die deutschlandweit mehr als 9500 Anlagen produzieren können, liegt bei sage und schreibe 80 Prozent aller deutschen Erdgasimporte aus Russland vor Kriegsbeginn, erklärte der „Fachverband Biogas“ gegenüber FOCUS Online. Darin enthalten ist auch synthetisches Biogas, das aus einem Abfallprodukt bei der Gewinnung reinen Biogases durch die Zugabe weiterer Stoffe in gleichwertiger Qualität erzeugt werden könne. „Das alles ist in Gefahr, wenn die Politik der neuen Bundesregierung die Rahmenbedingungen für Ökostrom aus Biogasanlagen nicht wieder lukrativ macht. Und zwar so schnell wie möglich“, warnt Verbands-Sprecherin Andrea Horbelt. Denn die Auswirkungen des Verlusts von Biogas gefährdeten nicht nur die Gasversorgung in Deutschland, sondern auch den Erfolg der Energiewende.

„Mais wächst schnell, benötigt vergleichsweise wenig Wasser und bindest dreimal mehr CO2 als Fichtenwald in seinem Zellstoff. Dadurch, dass wir viel Gülle zur Gasgewinnung benötigen, verhindern wir, dass klimaschädliches Methan in die Atmosphäre entweicht“, erklärt Pötke, während er immer wieder mit einer Hand nach Maisblättern greift.

Zudem taugen die organischen Rückstände bei der Gasgewinnung als guter Naturdünger, der deutsche Biogasbauern unabhängig vor allem von russischen Substraten macht. Pötke: „Wenn wir den nicht hätten, würde der Betrieb in finanzielle Schwierigkeiten geraten, weil wir die aktuellen Düngerpreise uns nicht mehr leisten können.“

Allerdings sehen Biogas-Kritiker eine Gefahr darin, dass die Maismonokulturen überhandnehmen. Sie befürchten, dass die Landschaft verödet und der Boden ausgelaugt wird. Auch sei Biogas im Vergleich etwa zu Photovoltaik-Anlagen sehr ineffizient, was den Verbrauch an Fläche angeht. Ängste, die laut Pötke und auch des Fachverbandes Biogas aber unbegründet sind. „Die Landwirte wären ja dumm, wenn sie das täten, weil sie so ihre Böden zerstören würden. Deshalb achte ich darauf, dass eine klare Fruchtfolge von Jahr zu Jahr zwischen Mais und verschiedenem Getreide eingehalten wird“, sagt Pötke.

Was aber noch viel wichtiger sei: Wenn die Sonne nicht scheint oder der Wind nicht weht, könnten die Energieausfälle, die so entstehen, durch Biogas abgefangen werden. „Wir können Gas an 356 Tagen im Jahr verstromen und es zudem auch in Gastanks speichern. Ohne diesen Puffer werden Wind- und Solarenergie nie den Energiebedarf unseres Landes decken können. Durch das Biogas wäre dies jedoch leicht möglich. Das entspräche Regelkraftwerken mit Wärmekonzept.“

Doch stattdessen würden nun wieder Kohlekraftwerke hochgefahren und Gas klimaunfreundlich aus dem Ausland übers Meer importiert. „Das EEG ist für uns Biogaslandwirte wie ein Kind, das wir von den Grünen bekommen haben. Aber anstatt jetzt dafür zu sorgen, dass es groß wird, lassen es die Grünen verhungern. Das verstehe ich nicht.“

Doch über die Probleme von Pötke ist der Verein inzwischen informiert. Und was den kommenden Winter betrifft, sieht der Vereinsvorsitzende Jörg Bohlen im Augenblick eher schwarz. „Allein für die Winter-Beheizung der drei Plätze in unserer Tennishalle hat der Energieversorger uns gerade Mehrkosten in Höhe von 23.000 Euro in Rechnung gestellt“, seufzt der Vorsitzende. „In München oder Hannover mögen die Leute darüber lachen. Aber wir können diesen Betrag nicht allein über erhöhte Mitgliedsbeiträge wettmachen.“

Derzeit suche die Tennissparte nach Einsparmöglichkeiten, etwa durch ein Absinken der  durchschnittlichen Raumtemperatur um zwei Grad. Auch bei den Platzmieten werde über eine Erhöhung von sechs Euro pro Stunde nachgedacht. Was einer Steigerung von mehr als 50 Prozent beim niedrigsten Tarif für Vereinsmitglieder entspricht.

Doch ob es so kommt und das Einsparpotenzial am Ende reiche, sei bislang unklar, sagt Bohlen. „Im Augenblick können wir nur hoffen, dass die Gaspreise nicht noch weiter steigen und sich eine Lösung finden wird. Sonst könnte es passieren, dass die Halle den Winter über dicht bleibt. Und das wäre für uns ein Super-GAU.“

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